
Drei Tage lang surfen wir uns in San Blas dumm und dusselig. Die Welle ist lang und steil, wirklich begabte Surfer könnten nonstop in der Tube stehen. Uns passiert das gelegentlich auch – meist gefolgt von einer ausführlichen Tracht Prügel unter Wasser. Die Nummer erinnert uns schwer an die Kelly-Slater-Wave, die wohl beste künstliche Welle der Welt, deren Geburtsanzeige und Bilder gerade das Internet fluten (Insider-information: in die Welle kann man nicht paddeln, den Jetski sieht man in den Videos aber nie.) Die wenigen Einheimischen in San Blas sind wahnsinnig nett. Wenn sie uns halbnackt, Bretter unterm Arm, blutig gebissen von den Jejenes (Sandfliegen), durch den Dschungel rennen sehen auf dem Weg zum Surfspot, schmeißen sie die Türen ihrer Offroad-Monster auf und gestikulieren, dass wir schnell einsteigen sollen. Die Strecke zum Spot ist selbst für unseren Drachen eine Nummer zu wild. Grandiose Wellen und freundliche Locals: einen besseren Abschluss unserer Mexiko-Abenteuer kann es nicht geben. Denn langsam wird es Zeit, in die USA zurückzukehren.
Auf dem Weg nach Norden unternehmen wir noch so manchen spontanen Abstecher an die Küste, Schlangenlinien auf der Karte, um vielleicht ein paar unentdeckte Wellen zu entdecken. Manchmal haben wir Glück auf diesen Expeditionen. Manchmal nicht. Auf irgendeine Art sind sie immer bereichernd. Nach über vier Monaten fällt uns der Abschied von Mexiko sehr schwer.
Um in die USA zurückzukehren, müssen wir Kartell-Country durchqueren. Sicherheitshalber entscheiden wir uns für die Bezahl-Autobahn. Wer reich genug dafür ist, hat keinen Grund, uns arme Schlucker auszurauben, so die Idee. Aber das Ganze fühlt sich irgendwie fishy an. Auf langen Strecken sind wir das einzige Auto. Dann tauchen andere wie aus dem nichts auf. Rechts und links liegen zwar Ortschaften, aber es gibt keine Ein- und Ausfahrten. Brücken über die Autobahn scheinen ins Leere zu führen. Wir müssen an einem Dorf vorbeifahren, hinter der wir eine gute Welle vermuten, einfach, weil wir keine Möglichkeit sehen, von der Autobahn herunterzukommen. Dann beobachten wir, wie ein anderes Auto abfährt: Mit hundert Sachen und quietschenden Reifen von der geteerten Straße runter, auf dem Wüstenboden daneben möglichst viel Staub aufgewirbelt, dann Schlangenlinien in die Erde grabend in die Büsche verschwunden. Als wir uns schließlich trauen, das Gangster-Manöver zu imitieren, finden wir uns hinter den Büschen doch plötzlich auf einer asphaltierten Straße wieder. Im nächsten Dorf erklärt man uns: Es gab mal Schilder mit den Namen der Ortschaften auf der Autobahn, es gab mal anständige geteerte Auf- und Abfahrten. Aber weil die Dörfer den Autobahnbetreiber nicht bezahlen konnten oder wollten, hat der die Auffahrten einfach wieder abgerissen. Mexican Style. So schlimm findet das in den Ortschaften aber eigentlich niemand. Mit den unkonventionellen Schleichwegen auf die Autobahn lassen sich die Bezahl-Häuschen prima umfahren. Maut-Straße für umme, muy bien.

Erst nachher finden wir heraus, dass dieser Streckenabschnitt liebevoll „Highway des Todes“ genannt wird. Und zwar weniger wegen der mörderischen Abbiegemanöver als wegen der möderischen Morde. In den vergangenen Jahren wurden hier unzählige Menschen überfallen, getötet, entführt. Nicht die Surfsmurfs.
Aber je weiter wir nach Norden kommen, desto mehr ändert sich das Gesicht des Landes. Am Straßenrand stehen plötzlich Bettler. An jeder Ampel stürzen sich Scheibenwischer auf unsere Windschutzscheibe. Der Dragon war noch nie so sauber. Alle Aufmerksamkeit scheint sich auf die nahe Grenze zu konzentrieren. Wer hier wohnt, will in die USA, war in den USA oder plant, in die USA zu gehen. Das zufriedene, stolze Mexiko, die Königin Mittelamerikas und nicht die arme Schwester Nordamerikas, unser Mexiko, liegt weiter südlich.

Die letzte Nacht verbringen wir in Hermosillo, der Hauptstadt von Sonora. Der Parkplatz des Hotels wirkt nur unwesentlich schlechter gesichert als die amerikanisch-mexikanische Grenze. Dennoch verweisen Schilder darauf, dass das Management keinerlei Verantwortung übernimmt, wenn dort abgestellte Autos verwüstet, angezündet, teil- oder ganz abgefackelt, entkernt, entreift, entfenstert … werden. Die Liste ist lang und detailliert. Am Taco-Stand nebenan klagt uns ein Betrunkener nach dem nächsten sein Leid.
In Nogales überqueren wir am nächsten Tag die Grenze. Mit einem dicken Kloß im Hals und Tränen in den Augen schauen wir zurück. Mexiko, du wirst uns fehlen. Das Wiedersehen lässt ungefähr zwei Minuten auf sich warten. Uns fehlt ein Stempel für die Ausfuhrgenehmigung des Dragon. Hola, Mexiko. Nach sechs Stunden voller Spiel und Spaß an der Grenze sind wir tatsächlich in Arizona und auf dem Weg nach Tucson.